Wehrtechnik-Beschäftigte auf der Flucht!

Betriebsräte im Presseclub München

Die im Arbeitskreis Wehrtechnik, Luft- und Raumfahrt (WLRArbeitskreis) zusammengeschlossenen Betriebsräte berichten aus ihren
Firmen von immer größeren Schwierigkeiten im personellen Bereich. Während in den letzten Jahren die Kollegen wegen fehlender Aufträge vor die Tür gesetzt wurden, gehen die Arbeitnehmer jetzt von selber oder kommen erst gar nicht. Der über die Jahre aufgebaute Frust sowie die Perspektivlosigkeit der Branche – wobei es besonders betroffene Bereiche gibt – verleiden vielen eine berufliche Tätigkeit in der Wehrtechnik. Die Gründe dafür liegen einerseits in der seit Jahren anhaltenden Mittelknappheit, aber auch in der fehlenden politischen Flankierung dieser Industrie. Als Folge all dieser Unerfreulichkeiten stellt sich heute bereits die Frage, wann die deutsche wehrtechnische Industrie auf die rote Liste gesetzt werden muss.

Selbst auf niedrigem Niveau können die Firmen ihren Personalbedarf nicht mehr decken. Aus Frust verlassen viele Beschäftigte die wehrtechnische Industrie und qualifizierter Nachwuchs meidet diese Branche, da er keine Karrierechancen sieht.

Verantwortlich für diese Entwicklung ist in erster Linie der Spar-Wahn, mit dem die Kohl’sche Politik eines permanent unterfinanzierten Verteidigungsbereichs übergangslos fortgesetzt wird. Die Bundesregierung gibt 45 + 2 Milliarden aus, leistet sich aber eine Bundeswehr, die, solide finanziert, etliche Milliarden mehr kosten würde. Hinzu kommt noch, dass die Anschubfinanzierung für die immerhin eingeleiteten Reformen aus diesem schmalbrüstigen Etat kommen muss. Die Folge: weiterhin werden Arbeitsplätze
durch Schieben, Strecken und Streichen von Investitionen vernichtet. Zusätzlich zur strengen Eichel-Diät, auf die der Verteidigungsbereich gesetzt ist, verstärken Reform-Insuffizienzen die Belastungen für die wehrtechnische Industrie und ihre Arbeitnehmer. Immer neue Pläne, Aussagen und Versprechungen vernebeln mehr, als dass sie Klarheit schaffen. Wesentliche
Entscheidungen, wie die Standortschließungen, werden vertagt. Beauftragungen werden verschleppt. Die angekündigte Einbeziehung der Wirtschaft in militärische Aufgaben löst Ängste und Ablehnung beim zivilen und militärischen Personal der Bundeswehr aus und führt zu Reibungsverlusten zwischen Industrie und Behörden. Die Ausweitung des Rahmenvertrages Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr auf über 300 Firmen erzeugt bei diesen die Erwartungshaltung auf lukrative Bundeswehraufträge, schafft aber zusätzliche Konkurrenz für viele ums Überleben kämpfende etablierte Wehrtechnikbetriebe.

Erschwert wird die Lage noch durch den Europa-Masochismus der deutschen Politik. Während unsere Nachbarn England und Frankreich kräftige Subventionen in ihre Wehrtechnik pumpen, sieht unsere Politik im Schlagwort Europäisierung die Lösung aller Probleme. Man tut wenig, um im Interesse eigener deutscher Betriebe für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Im Gegenteil, wettbewerbsrelevante Bestimmungen, z.B. zum Rüstungsexport, werden einseitig verschärft. Die Folgen sind der Abbau deutscher Kapazitäten, auf Kosten der Arbeitnehmer natürlich, und dafür die umso bessere Auslastung der Betriebe unserer Nachbarländer.
Die Export-Hysterie tut ein übriges dazu, der deutschen Wehrtechnik zu schaden. Allein der Image-Schaden durch das öffentliche Getöse um die Lieferung des Leo 2 Panzers an die Türkei – immerhin ein Nato-Verbündeter – ist für die betroffenen Firmen enorm und die Belegschaften leiden darunter. Gerade der letztgenannte Aspekt trägt dazu bei, dass die schon vorhandene gesellschaftliche Ablehnung der Wehrtechnik noch verstärkt wird. Hinzu kommt – wie gerade in letzter Zeit – dass dubiose Affären den Ruf der  Wehrtechnik und damit leider auch das Selbstwertgefühl ihrer Mitarbeiter beschädigen.

Bei all diesen Plagen, die die Beschäftigten der wehrtechnischen Industrie auszuhalten haben, ist es kein Wunder, wenn sie die Faxen dick haben und Auswege suchen. Aber ohne Belegschaften gibt es keine Wehrtechnik. Dann bleibt nur die Beschaffung im Ausland. Ob das billiger kommt?

Der Arbeitskreis der Betriebsräte in Wehrtechnik, Luft- und Raumfahrt ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Betriebsräten, die weiteren Arbeitsplatzverlusten in diesen Branchen entgegenwirken wollen. Derzeit gehören Betriebsratsgremien von 52 namhaften deutschen Firmen dem WLR-Arbeitskreis an, so dass die gewählten Vertreter von mehr als 60.000 Arbeitnehmern in dieser  firmenübergreifenden Initiative zusammenarbeiten.
Für weitere Informationen stehen die Sprecher des WLR-Arbeitskreises Dieter Rügemer (Tel. 089-9216-2474; Fax. 089-9216-2186; E-Mail: druegemer@esg-gmbh.de) oder Andreas Knoll (Tel. 089-3179-3038; Fax. 089-3179-2705) zur Verfügung.