Pressekonferenz des WLR-AK am 09. März 2004 im Presseclub München

Die Abwärtsentwicklung der deutschen wehrtechnischen Industrie aus Sicht der Arbeitnehmervertretung

Frauentürme und Mariensäule MünchenThema der diesjährigen Pressekonferenz des WLR war „die Abwärtsentwicklung der deutschen wehrtechnischen Industrie aus Sicht der Arbeitnehmervertretung„, die auch im vergangenen Jahr vor kaum einer der Firmen und Betriebe Halt gemacht hat, deren Betriebsräte Mitglied im „Arbeitskreis der Betriebsräte in der Wehrtechnik, Luft- und Raumfahrt“ (WLR) sind.

Lesen Sie hier den vollständigen Text der Presseerklärung des WLR, sowie die Statements der Betriebsratsvorsitzenden Uwe Kess und Luigi Constanzo.

Dieterr Rügemer und Markus Bräunlein
Dieter Rügemer und Markus Bräunlein

2. Sprecher des WLR Markus Bräunlein und Pressesprecher Dieter Rügemer stellten die aktuelle Situation der Wehrtechnischen Betriebe einleitend dar.

Mangelnde Aufträge von der Bundeswehr werden Folgen haben. „Wenn keine größeren Aufträge vergeben werden, wird im militärischen Sektor der deutschen Industrie ein massiver Arbeitsplatzabbau beginnen“, so Bräunlein.

„Als Folge davon sehen wir bereits jetzt Anzeichen von möglichen Insolvenzen oder Verkäufen an ausländische Investoren, wie das zum Beispiel beim Triebwerksbauer MTU in München vor Kurzem geschehen ist“, faßte Dieter Rügemer die Lage zusammen.

Fritz Schück, Betriebsratsvorsitzender EADS Ottobrunn
Fritz Schück, Betriebsratsvorsitzender EADS Ottobrunn

Fritz Schück, Betriebsratsvorsitzender der EADS in Ottobrunn warnte ebenfalls vor Kürzungen bei den Aufträgen für den Eurofighter. Damit würden auch die Aufträge anderer Nationen, zum Beispiel Österreich, gefährdet, so Schück. Die Reduzierung der bestehenden Luftflotte und die damit verbundene Kanibalisierung der stillgelegten Maschinen zur Reparatur der noch einsatzbereiten Flugzeuge kosten am Standort Manching viele Arbeitsplätze.
„Damit,“ so Schück, „wird auch der zivile Flugzeugbau Nachteile haben. Viele neue Technologien, die im zivilen Flugzeugbau, zum Beispiel beim A380, eingesetzt werden, wären ohne die Entwicklungen aus dem militärischen Flugzeugbau nicht denkbar.“
Deutschland wird den mühsam erkämpften Vorsprung im Flugzeugbau verlieren, wenn Kernkompetenzen in der militärischen Luftfahrt nicht erhalten werden.

Uwe Kess Betriebsratsvorsitzender Junghans Feinwerktechnik
Uwe Kess Betriebsratsvorsitzender Junghans Feinwerktechnik

Ähnlich äußerte sich Uwe Kess, Betriebsratsvorsitzender der Junghans Feinwerktechnik GmbH & Co. KG.
„In unserem Unternehmen wurde beispielsweise seit Anfang der ‘90er Jahre, 73% der Personalstärke abgebaut!“, berichtete Kess. Bisher ist es den Betriebsräten in Zusammenarbeit mit dem Management gelungen, die Kernkompetenzen in der Firma zu halten. Dies erforderte phantasievolle Lösungen. Durch die weiteren Einsparungen im Verteidigungshaushalt würden nun aber diese Kernkompetenzen massiv gefährdet.
Kess dazu: „Es wäre unvorstellbar, wenn die Bemühungen der letzten Jahre alle umsonst gewesen wären!“. „Was wir brauchen“, so Kess,“ ist die Unterstützung der Politik. Versprechen allein helfen uns nicht mehr weiter. Wir brauchen die Unterstützung der Politik – übrigens aller Parteien – um
diesen Herausforderungen auch in Zukunft im Standort Deutschland gerecht werden zu können.“ Statement von Uwe Kess in voller Länge.

Luigi Constanzo, Betriesbratsvorsitzender Diehl Systemketten
Luigi Constanzo, Betriesbratsvorsitzender Diehl Systemketten

Luigi Constanzo, Betriebsratsvorsitzender der Diehl Remscheidt, berichtet von ähnlichen Entwicklungen im Geschäftsgebiet der Systemketten für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Nicht nur die Herstellerfirmen sind von den Einsparungen betroffen, sondern auch viele Zulieferer verlieren Arbeitsplätze. Constanzo dazu: „Man kann nicht eine ganze Branche allmählich einstampfen und sich dann über leere Kassen und kaputte Sozialsysteme beklagen.“
Zwar werden inzwischen 75% der Aufträge im Export geholt, dennoch reduzierte sich der Umsatz um 38% in den letzten zwei Jahren. Constanzo stellt die Frage, was die Politik unternehmen will, wenn Deutsche Firmen zunehmend ihre Führungsrolle verlieren und Kernkompetenzen ins Ausland wandern. Politik fordert, Unternehmen sollten sich verstärkt im Ausland um Aufträge bemühen. Andere Nationen orientieren sich jedoch daran, welches Gerät bei der Bundeswehr im Einsatz ist und machen ihre Kaufentscheidung davon abhängig.
Statement von Luigi Constanzo in voller Länge.

Kurt Philipps, BR-Vorsitzender Thales
Kurt Philipps, BR-Vorsitzender Thales

Betriebsratsvorsitzender Kurt Phillips vertrat die Ansicht, dass sich die Bundeswehr zunehmend von fremden Nationen im Bereich der Wehrtechnik abhängig machen würde. Allein der Stellenabbau bei der Thales Communications GmbH mache deutlich, welchen massiven Verlust an Know-how die Unternehmen der Branche in den letzten Jahren verdauen mußten. Von drei Standorten ist nur noch einer übrig. Eine weitere Reduzierung der Aufträge könnte zur Schließung führen.

Zusammenfassend waren die Aussagen der Pressekonferenz sehr ernüchternd. Zigtausende von Arbeitsplätzen werden kurzfristigen Einsparungsmaßnahmen möglicherweise geopfert. Ein ganzer Industriezweig wird so an den Rand des Abgrunds gebracht. Viel zu lange hat der Bereich Wehrtechnik als finanzieller Steinbruch herhalten müssen und trotzdem ist die Staatsverschuldung und die Schieflage der Sozialsysteme nicht besser geworden. Jeder Arbeitsplatz, der in der Wehrtechnik verloren geht, belastet die Sozialsysteme und damit den Staatshaushalt.

Die Betriebsräte fordern, dass die wehrtechnische Industrie und insbesondere die wehrtechnische Entwicklung und Forschung hierzulande endlich ein stabiler Faktor wird. Die Betriebsräte jedenfalls glauben nicht, dass durch Ausgaben für wehrtechnische Produkte der Staat in die Armut getrieben wird. Was sie jedoch sicher wissen, ist, dass eine wehrtechnische Industrie dafür sorgt, dass viele Menschen Arbeit haben, zum großen Teil sogar hochqualifizierte Arbeit.

Die Betriebsräte fordern deshalb eine engagierte Industriepolitik nach dem Muster Frankreichs und Englands sowie eine Rüstungsexportpolitik, die mit derjenigen dieser Staaten vergleichbar ist und Deutschland nicht einseitig benachteiligt. Sie fordern, dass die deutsche Politik endlich definiert, welche 7 von 7 nationalen Kernfähigkeiten der Wehrtechnik-Industrie erhalten bleiben sollen. Sie fordern eine gezielte Vergabepolitik, die sich nicht nur am militärischen Bedarf orientiert, sondern auch an der notwendigen Absicherung dieser industriellen Kernfähigkeiten. Nur dann ist der Erhalt der Arbeitsplätze und der technologischen Wettbewerbsfähigkeit an deutschen Standorten gesichert. Nur so kann man im globalen Wettbewerb nationale Interessen sichern und für Wohlstand sorgen.

Zusammenfassung von Michael Bernhard, Betriebsrat EADS Deutschland GmbH