Greencards – ein Just-in-time-Konzept für Ingenieure?

Betriebsräte sagen: kein Ersatz für eine Politik, die ein stabiles Fachkräfte-Potential sichert.

Die im Arbeitskreis Wehrtechnik, Luft- und Raumfahrt (WLR-Arbeitskreis) zusammengeschlossenen Betriebsräte registrieren mit Verwunderung die Pläne des Bundeskanzlers, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen, um den Mangel an einheimischen Experten auszugleichen. Verwunderung deshalb, weil gleichzeitig die Betriebe der wehrtechnischen Industrie im staatlichen Würgegriff weiter verkümmern und die Förderung der Luft- und Raumfahrtbranche ziemlich stiefmütterlich ausfällt. Die Betriebsräte haben kein Verständnis dafür, dass man weiterhin die gleichen Sünden begeht, die vor Jahren den heutigen Mangel an High-tech-Personal verursacht haben. Ein Just-in-time-Konzept per Greencard, wie es die Bundesregierung jetzt für Ingenieure anpeilt, ist kein Ersatz für eine Politik, die ein stabiles Fachkräfte-Potential sicherstellt.

In der wehrtechnischen Industrie stehen 20.000 Arbeitsplätze durch die konzeptionslose Sparvorgabe von 18,6 Milliarden zur Disposition. Die halbherzige Förderung der Luftfahrtforschung und die zögerliche Beteiligung an Raumfahrtprogrammen tun ein übriges. Die Betriebsräte vieler Firmen in diesen Branchen reiben sich bereits wieder im Kampf gegen den Personalabbau auf. In der
Wehrtechnik sind es derzeit ca. 2.000 Mitarbeiter, die abgebaut werden. In der Raumfahrt geht ebenfalls wieder das Entlassungsgespenst um. Die Sünden der Regierung Kohl und der Führungsetagen der Industrie in der ersten Hälfte der neunziger Jahre, die sich massiv gegen technische Fachkräfte richteten, sind verantwortlich für den heute allseits beklagten Mangel an Ingenieuren, vor allem an Computer-Experten. Das Gerede vom teuren Wirtschaftsstandort und Freizeitpark Deutschland hatte drastische Personalreduzierungen in deutschen Firmen zur Folge.

Legionenweise wurden Ingenieure und Naturwissenschaftler in den vorzeitigen Ruhestand geschickt oder entlassen. Um 1994 waren etwa 70.000 deutsche Ingenieure arbeitslos. Junge Ingenieure, die gerade ihr Studium absolviert hatten, bekamen keinen Job. Besonders gravierend war die Situation in den Branchen Wehrtechnik sowie Luft- und Raumfahrt. Die Schlagworte Friedensdividende und Dolores (Dollar low Rescue) lieferten die kurzsichtige Begründung für die Vernichtung zehntausender Arbeitsplätze. Dieses “Überangebot” an Ingenieuren hielt natürlich viele Abiturienten von einem Ingenieurstudium ab. Die Zahl der Studienanfänger an deutschen Unis und Hochschulen ging um 50 bis 60 Prozent zurück. In manchen Fakultäten sogar um 70 Prozent und mehr. Die jungen Leute bevorzugten stattdessen wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fächer oder die Juristerei.

Während die Unternehmen mittlerweile einsehen, dass die Firmenpolitik des Lean Engineering zu Beginn der neunziger Jahre ein Fehlschlag war, setzt die Regierung Schröder nahtlos den verfehlten Kurs der Regierung Kohl fort. Der Arbeitskreis der Betriebsräte in Wehrtechnik, Luft- und Raumfahrt ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Betriebsräten, die weiteren Arbeitsplatzverlusten in diesen Branchen entgegenwirken wollen. Derzeit gehören Betriebsratsgremien von 48 namhaften deutschen Firmen dem WLR-Arbeitskreis an, sodass etwa 55.000 Arbeitnehmer von dieser firmenübergreifenden Initiative vertreten werden.

Für weitere Informationen stehen die Sprecher des WLR-Arbeitskreises Dieter Rügemer (Tel. 089-9216-2474; Fax. 089-9216-2186) oder Andreas Knoll (Tel. 089-3179-3038; Fax. 089-3179-2705) zur Verfügung.