Die Zukunftsaussichten der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie

… ihrer Standorte und Arbeitsplätze

aus Sicht des WLR
vorgetragen vom 2. Sprecher des WLR Markus Bräunlein auf dem WLR-Gesellschaftsabend
im Rahmen der ILA 2004 Berlin
in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin
am 12. Mai 2004.

Markus Bräunlein, 2. Sprecher WLR_AK
Markus Bräunlein, 2. Sprecher WLR_AK

Meine verehrten Damen und Herren,
zuerst einmal herzlichen Dank, dass Sie so zahlreich erschienen sind.
Wie angekündigt, wollen wir auf dem heutigen Gesellschaftsabend über die Situation und vor allem über die Zukunftsaussichten der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, ihrer Standorte und Arbeitsplätze diskutieren.

Bevor wir in die Diskussion eintreten, erlauben Sie mir jedoch eine kurze Stellungnahme zu die-ser Thematik aus unserer WLR-Sicht, also aus Sicht von Arbeitnehmervertretern aus diesen Branchen.

Beginnen möchte ich dabei mit einem Rückblick auf die entscheidenden und einschneidenden Rahmenbedingungen, von denen die Entwicklung in diesem industriellen Bereich besonders beeinflusst und geprägt wurde.
Ich meine damit:
– den immer spürbarer werdenden Mangel an finanziellen Mitteln,
– die Ablehnung militärischer Projekte aus politisch-ideologischen Gründen,
– die Schaffung integrierter europäischer Industriestrukturen sowie
– die restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik.

Die einschneidendste Rahmenbedingung ist sicherlich der seit Jahren lähmende Mangel an finanziellen Mitteln. Seit Ende des Ost-West-Konfliktes wurde in Deutschland der Verteidigungs-Haushalt ständig als Steinbruch missbraucht, um eine angebliche Friedensdividende zu erwirtschaften. Dies hat sich besonders im wehrtechnischen Bereich der deutschen Luftfahrtindustrie bemerkbar gemacht. Ebenso in der Ausrüstungsindustrie, die diesen Bereichen zuliefert, vor allem aber in der Verteidigungselektronik. Obwohl die deutsche wehrtechnisch orientierte Luft-fahrtindustrie, im Vergleich z.B. mit der Heeresindustrie, noch ganz gut weggekommen ist, weil Programme wie Eurofighter, TIGER und NH90 durchgezogen wurden, ist doch manch empfindli-cher Aderlass zu beklagen.

Aber auch in der Raumfahrt hat sich die permanente Mittelknappheit recht negativ ausgewirkt.

Die Ablehnung alles Militärischen, aber auch generell der Luftfahrt und sogar der Raumfahrt aus politisch-ideologischen Gründen hat ebenfalls großen Schaden angerichtet. Man denke nur an die jahrelange Verzögerung der Entwicklungsentscheidung für das Eurofighter-Programm. Dabei mussten Jahre der Lähmung bei den Entwicklungsarbeiten in Kauf genommen werden. Dies hat, neben erheblichen Kosten, vor allem wertvolle Zeit gekostet, Zeit, die uns heute abgeht. Vor einigen Jahren noch wäre die ausstehende Entwicklungsentscheidung für die Tranche 2 wahr-scheinlich nicht in solche finanzielle und politische Turbulenzen gekommen wie wir sie heute erleben.

„Was wollt ihr denn?“, so wurde uns Betriebsräten immer gesagt, wenn wir über die arbeitsplatzvernichtenden Reduzierungen geklagt haben, „die Bundesrepublik hat doch keine Feinde mehr, wir sind von Freunden umzingelt“. Das militärische Teufelszeug braucht man jetzt Gott sei Dank nicht mehr. Das schöne viele Geld, das bisher für die Rüstung ausgegeben wurde, kann doch jetzt viel besser zum Wohle der Bevölkerung verwendet werden. Man kann es in öffentliche Aufgaben wie Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen stecken. Man kann allen Bürgern vorzügliche Renten bezahlen und eine medizinische Versorgung vom Feinsten finanzieren. Damit, so wurde immer wieder angekündigt, würden paradiesische Zustände für alle ausbrechen. Überdies müsste der Staat keine Schulden mehr machen, er könne vielmehr alte, durch die Rüstungsausgaben verursachte Schulden zurückzahlen.

Übrigens: Auf diese paradiesischen Zustände warten wir immer noch.

Eine weitere Leidensgeschichte der deutschen wehrtechnischen Industrie, sowie der Luft- und Raumfahrt, wird von der ach so gepriesenen Europäisierung geschrieben.
In dem Irrglauben, man könne alle wirtschaftlichen Leiden durch die Wunderdroge „Europäisierung“ heilen, hat man immer mehr wehrtechnische sowie Luft- und Raumfahrtbetriebe in euro-päische Strukturen getrieben – vorzugsweise unter französischer Dominanz – und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Das ist im Flugzeug- und Hubschrauberbau der Fall, bei den Lenkflugkörpern, bei der Verteidigungselektronik und jetzt soll übrigens auch noch der Marineschiffbau drankommen.

Man versprach sich also von diesen Europäisierungs-Maßnahmen größere Märkte und die Vermeidung von Mehrfachaufwendungen. Eine bessere Nutzung von Ressourcen und Kapazitäten sollte wirtschaftliche Erfolge sichern. Und bei realistischer Bewertung ist auch anzuerkennen, dass dies in vielen Bereichen funktionierte. Ohne die Teilnahme an ehrgeizigen französischen Programmen würde es keine Airbus-, keine Hubschrauber- und keine Ariane-Erfolge geben.

Trotzdem kann man sich aus deutscher Sicht nur begrenzt über diese Erfolge freuen. Es kann nicht befriedigen, wenn die Europäisierung so aussieht, dass die Entwicklung nach Frankreich geht und für Deutschland nur noch (Teile-) Produktion und Logistikaufgaben übrig bleiben. Wenn ganze Industriezweige bei uns verkümmern, im Nachbarland Frankreich aber aufblühen. Wenn die Fa. EADS als „französisches Unternehmen mit deutschen Niederlassungen“ bezeichnet wird, dann ist das nicht die partnerschaftliche Zusammenarbeit, die man einst als großartiges Ziel verkündet hatte.
Wenn die innovativen Entwicklungsarbeiten bei den europäischen Partnern gemacht werden und unsere deutschen Standorte nur noch das machen dürfen, was für die anderen uninteressant ist, dann ist etwas faul mit der Partnerschaft.

Ein weiteres Übel sind die deutschen Exportbestimmungen für Rüstungsgüter.
Zur großen Freude der Konkurrenz ist die deutsche Rüstungsexport-Gesetzgebung die restriktivste in Europa. Die Chancen, bei Reduzierung von Inlandsaufträgen auf den internationalen Markt auszuweichen, sind daher äußerst beschränkt. Auch die Einbindung in internationale Programme wird für die deutsche wehrtechnische Industrie erschwert, und zwar durch das Miss-trauen potenzieller ausländischer Partner gegenüber den Auswirkungen dieser Gesetze.

Mit Skepsis ist auch der jüngste Beschluss der Bundesregierung zu betrachten, einen Genehmi-gungsvorbehalt einzuführen, wenn mindestens 25 % der Anteile eines deutschen Rüstungsun-ternehmers an gebietsfremde Erwerber veräußert werden. Dieses Vorhaben ist vielleicht gut gemeint, bringt aber weitere Restriktionen, die unternehmerische Anreize, sich in der Wehrtechnik zu engagieren, noch mehr untergraben.

Der Staat als monopolistischer Auftraggeber der deutschen Wehrtechnik-Industrie greift zwar mit seinen Regelungen massiv in die unternehmerischen Freiheiten ein, ist aber auf der anderen Seite nicht bereit, diese nationalen Barrieren durch Planungssicherheit bei der Auftragsvergabe auszugleichen.

Aber jetzt noch einige Anmerkungen zu den einzelnen Bereichen:

Als erstes zur Situation in der zivilen Flugzeugindustrie:

Hier ist die Welt noch halbwegs in Ordnung, weil das Airbusgeschäft so gut läuft. Allerdings ist der Kostendruck, den EADS/Airbus auf Unterauftragnehmer und Lieferanten ausübt, enorm. Wenn dabei die Fa. Airbus sogar ganz offen ihren Zulieferern gegenüber die Forderung ausspricht, in so genannte „Low Cost“- Länder auszuweichen, dann erfährt die Freude an den Airbus-Erfolgen bei unseren Arbeitnehmern in deutschen kleineren und mittelständischen Betrieben einen gewaltigen Dämpfer.

Wenig erfreulich ist auch der Fall Fairchild Dornier und was daraus geworden ist. Allerdings muss man hier die Politik eher in Schutz nehmen und vielmehr auf schwere Managementfehler hinweisen. Es ist zu hoffen, dass das in Oberpfaffenhofen entwickelte Know-how unter chinesischer Führung wenigstens noch einige Arbeitsplätze hier in Deutschland sichert.

Ein besonders betrübliches Kapitel ist der Verkauf von ASL in Lemwerder an EADS und die damit einhergehende Zerschlagung eines kleineren Betriebes, der seit Jahren mit großem Einsatz ums Überleben kämpft.

Wir als Arbeitnehmervertreter sind im übrigen fest davon überzeugt, dass man die Bedeutung kleinerer und mittelständischer Firmen hierzulande viel zu wenig schätzt. Wenn man nur z.B. die Entwicklungen der Fa. Grob in Mindelheim/Mattsies betrachtet, dann erkennt man, dass es auch noch hier in Deutschland eine erfreuliche und auch unterstützungswürdige Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft im Flugzeugbau gibt.

Nun einige Worte zur Situation in der militärischen Flugzeugindustrie:

Hier sind zwei wesentliche Vorgänge mit katastrophalen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der deutschen Flugzeugindustrie zu nennen. Dieses sind:
“ die Flottenreduzierung bei der Luftwaffe von 460 auf 265 Flugzeuge und
“ die immer weitere Verschiebung der Beauftragung der Tranche 2 des Eurofighters

Die Flottenreduzierung wirkt sich zunächst einmal im Bereich von Wartung und Upgrade beim Waffensystem Tornado aus. Der vorgesehene Abbau von 72 % der Tornado-Flotte, von rd. 300 auf 85 Flugzeuge bis 2013, erzwingt einen gravierenden Aderlass bei den Arbeitplätzen im Werft- und Zulieferbereich. Diese Situation wird noch verstärkt durch den Transfer der MiG-29 Flotte an Polen sowie den Wegfall der Wartungsaufträge für die Breguet Atlantic, die ja bekanntlich durch holländische Orions ersetzt werden soll.

Die permanente Verschiebung der Entscheidung für die Tranche 2 des Eurofighters bedeutet, dass sich die Beschäftigungsmöglichkeiten für die noch vorhandenen Entwicklungsmannschaften immer weiter reduzieren und entsprechender Personalabbau bis hin zum Verlust von Kernfähigkeiten unausweichlich wird. Hier steht die Fähigkeit Deutschlands, wenn nicht Europas, in Zukunft militärische Hochleistungsflugzeuge zu bauen im Feuer. Die Auswirkungen einer solchen Entwicklung auf die Fähigkeiten, in Zukunft technologischen Spin-off für den zivilen Flugzeugbau zu erhalten, liegen auf der Hand. Boeing lässt grüßen.

Aber nicht nur die Entwicklungsteams sind vom Ausbleiben der Tranche 2-Entscheidung be-droht. Auch bei MTU droht man mit dem Abbau von 600 Arbeitsplätzen in der Triebwerksproduktion. Eine Unterbrechung der Produktionslinie und spätere Wiederaufnahme der Triebwerksproduktion könne seitens der Fa. MTU nicht verkraftet werden, so heißt es.

Aber auch unabhängig von der ausstehenden Eurofighter-Entscheidung geht es bei MTU zur Sache. Kaum ist es ein halbes Jahr her, dass MTU von DaimlerChrysler an das Londoner Private-Equity-Haus KKR verkauft wurde, da schleift man schon die Arbeitsplätze an den deutschen Standorten. 426 Stellen sollen bis Jahresende in München wegfallen und nochmals 337 bis Ende 2006. In Hannover fallen bis Jahresende 155 Arbeitsplätze weg und in Ludwigsfelde bis Ende nächsten Jahres 50 Arbeitsplätze. Offen gesagt, wir haben auch nichts anderes erwartet, als wir damals vom Verkauf der MTU hörten.

Auch zur Situation in der Raumfahrtindustrie noch einige Anmerkungen:

Bei Astrium, der Raumfahrtsparte der EADS, begann man 2003 mit Restrukturierungsmaßnahmen, d. h. der Bereinigung von Doppelaktivitäten. Man ordnete den verschiedenen Standorten eine Fachfähigkeit zu und schaffte somit Kompetenzcenter, z.B. für Antennen in England sowie für Composite-Bauteilefertigung und Satelliten-Integration in Frankreich. In Ottobrunn, Friedrichshafen und Lampoldshausen dagegen wurden oder werden diese Aktivitäten beendet. Ein Teil der Belegschaft dieser deutschen Standorte hat Glück, man bietet diesen Kollegen entsprechende Arbeitsplätze im Ausland an.
Es stellt sich natürlich die Frage, warum zwar die deutschen Standorte Aufgaben nach Frankreich und England abgeben müssen, aber nichts aus dem Ausland zurückbekommen. Die Antwort habe ich vorhin, bei meinem Lamento über die Europäisierung schon gegeben.

Wenn sich die nationale Politik nicht für ihre eigenen Unternehmen und Standorte einsetzt, dann haben eben die anderen die Nase vorne.

Ein weiteres Desaster für die Raumfahrt-Arbeitsplätze in Deutschland sind die Folgen der Markteinbrüche im Satellitengeschäft, die natürlich auch das Startgeschäft mit ARIANE-Trägern in Mitleidenschaft gezogen haben. Nach entsprechenden negativen Geschäftsergebnissen wurde deshalb bei Astrium ein Kosteneinsparungsprogramm von 500 Millionen € beschlossen. 300 Millio-nen € sollen dabei durch Personalabbau eingespart werden, was für 960 Kollegen in Deutsch-land der Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeutet.

Das jetzt verkündete Stimmungshoch auf der ILA wegen des 3-Milliarden-Auftrages für 30 Ariane-Raketen wird diese Arbeitnehmer allerdings kaum trösten.

Forderungen

Die im WLR-Arbeitskreis zusammenarbeitenden Betriebsräte sehen seit vielen Jahren eine kontinuierliche Abwärtsentwicklung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie vor allem im wehrtechnischen Bereich, ohne dass es Anzeichen für eine Verbesserung gibt. Sie sehen, dass kleinere Unternehmen geschlossen werden und größere verkauft werden, wie dies zuletzt bei MTU und ASL der Fall war. Die deutschen Arbeitnehmer haben vor allem kein Verständnis dafür, dass versucht wird die Probleme einer überforderten deutschen Politik auf ihrem Rücken und auf Kosten ihrer technologischen Wettbewerbsfähigkeit zu lösen.

Die Betriebsräte fordern deshalb eine engagierte Industriepolitik nach dem Muster Frankreichs und Englands sowie eine Rüstungsexportpolitik, die Deutschland nicht einseitig benachteiligt. Sie fordern, dass die deutsche Politik endlich definiert, welche nationalen Kernfähigkeiten der Wehrtechnik, der Luft- und Raumfahrt-Industrie erhalten bleiben sollen. Sie fordern eine gezielte Vergabepolitik, die sich nicht nur am militärischen Bedarf orientiert, sondern auch an der notwendigen Absicherung dieser industriellen Kernfähigkeiten.

Immer neue Kürzungsvorgaben durch den Finanzminister, wie z.B. die Erweiterung der sog. globalen Minderausgabe, sind dabei sicher nicht das Gelbe vom Ei, da sie die anstehende Bw-Reform, die ja Mittel für die Ausrüstung freischaufeln soll, untergräbt. Positiv ist da schon eher die von Herrn Staatssekretär Staffelt eingeleitete „Gemeinsame Initiative für einen starken Luft- und Raumfahrtstandort Ostdeutschland“. Auch der Einsatz der Bundesregierung für die Vergabe der Galileo-Betreibergesellschaft nach Deutschland ist zu loben, auch wenn es irritiert, dass jetzt ein weiterer Galileo-Firmensitz in Rom eingerichtet wird.

Sie sehen also, es gibt Beispiele, dass es hierzulande auch anders geht. Allerdings sind das nur kleine Schritte, wenn auch wichtige und wertvolle Schritte, in die richtige Richtung. Es muss sich generell die Einstellung der Politik ändern und als Folge müssen sich die Aktivitäten und Ent-scheidungen der Politik – und hier meine ich nicht nur Geld – ändern. Nur dann ist der Erhalt der Arbeitsplätze und der technologischen Wettbewerbsfähigkeit an deutschen Standorten gesichert. Nur so kann man im globalen Wettbewerb nationale Interessen sichern und für Wohlstand sorgen.

Meine Damen und Herren

vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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