Fragen zur Bundestagswahl 2021 – die Antworten der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wie auch bei den vergangenen Wahlen wollte der WLR-AK von den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der demokratischen Parteien wissen, was sie während ihrer möglichen Amtszeit für die Wehrtechnik, die Luft- und Raumfahrt planen. Die angebotene Möglichkeit Fragen über sogenannte Wahlprüfsteine einzureichen haben wir genutzt und bereits einige Antworten erhalten.

Wir bedanken uns bei den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der Parteien für die Beantwortung unserer Fragen zur Bundestagswahl 2021.

Antworten der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf die eingereichten Wahlprüfsteine

1. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie insbesondere die Realisierung von Großvorhaben und eine entsprechende überjährige Finanzierung sicherstellen, um den Rüstungsprozess für alle Beteiligten planbar und verlässlich zu gestalten?

In den nächsten Jahren wird der Verteidigungsetat nicht wie in den vergangenen Jahren überproportional zum Gesamthaushalt wachsen können. Vor diesem Hintergrund klaffen finanzielle Möglichkeiten und Ambitionen der Bundeswehr zunehmend auseinander. Mit Blick auf Rüstung und Beschaffung ist daher vor allem eine effektive und sicherheitspolitische nachvollziehbare Priorisierung wichtig. Diese muss sich von vernünftigen, rationalen sicherheitspolitischen Abwägungen ableiten. Sie darf nicht davon abhängig gemacht werden, bei welchem Beschaffungsvorhaben die Verträge gerade rechtzeitig unterschriftsreif sind.

2. Welche Priorität hat die Bündnis- und Landesverteidigung in Ihrem Wahlprogramm in der kommenden Legislaturperiode unter Berücksichtigung des COVID geschwächten Budget?

Der Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr müssen sich an den realen und strategisch bedeutsamen Herausforderungen für Sicherheit und Friedenssicherung orientieren und in ein gesamtstaatliches Handeln einfügen. Landes- und Bündnisverteidigung gehört zu den Kernaufgaben der Bundeswehr. Für diese muss die Bundeswehr angemessen und modern ausgestattet sein. Das Wahlprogramm macht deutlich, dass wir GRÜNE eine Bundeswehr wollen, die ein verlässlicher Partner für Verbündete ist und gleichzeitig realistische Zielsetzungen gemäß ihrer Aufgaben verfolgt. Vor dem Hintergrund der COVID-Pandemie wird der Verteidigungshaushalt nicht wie in den vergangenen Jahren steigen. Das bedeutet, dass wir die Bundeswehr nicht mit einem überdehnten Auftrag überfordern dürfen. Die Bundeswehr kann nur Zusagen an internationale Partner machen, die sie auch realistisch erreichen und leisten kann. Gleichzeitig hängen Europas Sicherheit und Wohlstand sowohl von einer glaubhaften Bündnisverteidigung ab als eben auch von einer stabilen Währung, geringen Inflation und robusten Volkswirtschaft.

3. Neben vielfältigen Einsätzen u. Bündnisverpflichtungen sind unsere Soldaten durch humanitäre Einsätze gefordert. Es sind dringend Verbesserungen der personellen und materiellen Ausstattung der Bundeswehr notwendig. Wie lösen Sie das Problem im Sinne der Bundeswehr aber auch monetär?

Trotz der überproportional steigenden Verteidigungsetats der vergangenen Jahre ist es nicht gelungen, die Mängel bei Personal und Ausstattung zu beseitigen. Es fehlt der Bundeswehr an einer nachhaltigen Reformstrategie. Bürokratische Hindernisse im Beschaffungsbereich führen wiederholt zu Verzögerungen bei Großprojekten, aber auch bei grundlegenden Alltagsgegenständen. Gerade bei der Grundausstattung von Soldat*innen wäre es sinnvoll, die Nutzungsverantwortung stärker in die Truppe zu verlagern. Eine angemessene Einsatzbereitschaft ist Voraussetzung für die Erfüllung der Kernaufgaben. Die Ambitionen, die im Weißbuch und nicht zuletzt auch im Fähigkeitsprofil angelegt sind, und die finanziellen und personellen Mittel der Bundeswehr werden aber in den kommenden Jahren immer weiter auseinanderdriften. 2025 drohen wir eine Truppe zu haben, die unter einem völlig überdehnten Auftrag leiden wird. Fähigkeitszusagen – auch auf der internationalen Bühne – nützen niemanden etwas, wenn sie nur auf dem Papier existieren. Das, was die Bundeswehr können soll, muss sie auch können – und auch nur dies sollten wir zusagen.

4. Vor allem mittelständische Firmen aus Wehrtechnik, Luft u. Raumfahrt halten ein wertvolles Knowhow und ganz spezielle Kompetenzen vor. Sie sind im Zulieferbereich tätig aber auch in ganz besonderen Technologiefeldern. Welchen Stellenwert würden Sie dieser Branche beimessen?

Wir GRÜNE wollen den Zukunftssektor Raumfahrt stärken, dabei internationale Wissenschaftskooperationen vorantreiben, einen unabhängigen Zugang zum All erhalten und am Astronaut-Programm festhalten. Die Raumfahrt erschließt dabei nicht nur Erkenntnisse für die Grundlagenforschung, sondern ermöglicht auch vielfältige konkrete Anwendungen, insbesondere auch in Bereichen wie Erdbeobachtung, Klimawissenschaft, nachhaltige Mobilität und andere. Voraussetzung für das Erschließen dieser Potenziale und neuer Geschäftsmodelle für die Raumfahrt ist ein entsprechendes Ökosystem aus Wissenschaft, etablierter Industrie, mittelständischen Unternehmen und Startups aus dem Bereich New Space. Deutschland ist ein wichtiger Standort der Luftfahrtindustrie. Die vorhandenen technologischen Kompetenzen der Branchen gilt es zu erhalten und zu nutzen, insbesondere bei der Bewältigung der zentralen Zukunftsherausforderung des Klimaschutzes.

5. Wie stehen Sie zu wehrtechnischen Entwicklungsvorhaben? Fertiges im Ausland kaufen oder in Deutschland entwickeln? Ist der Preis die oberste Priorität oder die deutsche Souveränität?

Es muss kein grundsätzliches Entweder-Oder zwischen dem Kauf von Gerät im Ausland und eigener Entwicklungen geben. Nicht jedes europäische oder NATO-Land muss über alle Fähigkeiten verfügen. Aufgrund stetig steigender Komplexität sind viele (Groß-)Projekte aber heute im nationalen Alleingang nicht finanzierbar. Daher setzten wir GRÜNE uns im Beschaffungsbereich für mehr europäische Kooperation ein. Gleichzeitig muss die Bundeswehr Abstand von teuren und risikohaften Goldrandlösungen nehmen. Mit Blick auf die mangelhafte materielle Einsatzbereitschaft ist es in manchen Bereichen unausweichlich auch auf marktverfügbares Gerät, das von Partnernationen bereits erprobt ist, zurückzugreifen.

6. Wie stehen Sie zu den aktuellen und zukünftigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr und wie sehen Sie hier die internationale Verantwortung, auch hinsichtlich der Nato-Verpflichtungen, sich daran zu beteiligen?

Wir GRÜNE unterstützen Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen, die zu Stabilität, dem Schutz der Zivilbevölkerung und der Umsetzung von Friedensprozessen beitragen. Wir streben an, Ressourcen- und Fähigkeitslücken in diesem Bereich zu beheben und den zivilen und militärischen Beitrag zu VN-Einsätzen signifikant zu erhöhen. Ein Einsatz braucht einen klaren und erfüllbaren Auftrag, ausgewogene zivile und militärische Fähigkeiten und unabhängige (Zwischen)Evaluierungen. Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland sind in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit – das heißt nicht in verfassungswidrige Koalitionen der Willigen – und in ein politisches Gesamtkonzept einzubetten, basierend auf dem Grundgesetz und dem Völkerrecht. Wir GRÜNE machen uns die Entscheidung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr nie leicht und diskutieren jedes Mandat gründlich. Unsere Prüfkriterien für Auslandseinsätze und unser Abstimmungsverhalten zu aktuellen Einsätzen können Sie hier nachvollziehen.

7. Deutschland ist das Land der Denker und Entwickler. Diese Fähigkeit ist weltweit anerkannt. Wie werden Sie sicherstellen, dass diese Fähigkeit/Wissen (u.a. auch in vielen Instituten wie Fraunhofer oder DLR vorhanden) künftig gehalten und weiter ausgebaut werden kann?

Wir wollen den Wissenschaftler*innen eine gut ausgestattete Forschungsumgebung schaffen, wo sie Neues mit ungewissem Ausgang erforschen können. Ihre Arbeit bedarf optimaler und verlässlicher Bedingungen, unnötige bürokratische Hürden wollen wir abbauen. Forschungs- und Innovationspolitik wollen wir GRÜNE vermehrt zusammen denken, um den Europäischen Forschungs- und Hochschulraum mit Leben zu füllen und zukünftigen Wohlstand zu sichern. Wir wollen, dass Deutschland bei den öffentlichen Investitionen im Vergleich der Industrieländer vom Nachzügler zum Spitzenreiter wird, und in diesem Jahrzehnt pro Jahr 50 Milliarden € zusätzlich investieren. Bei Spitzentechnologien wollen wir uns im Wettbewerb mit den USA und China behaupten können. Für das deutsche Wissenschaftssystem brauchen wir in erster Linie eine auskömmliche Grundfinanzierung. Außerdem wollen wir mit den Ländern den Zukunftsvertrag Studium und Lehre sowie den Pakt für Forschung und Innovation verstetigen und qualitativ voranbringen.

8. Nicht erst seit der Corona-Pandemie wurde die Automobilindustrie mit Konjunkturprogrammen gefördert. In der Luftfahrtindustrie war vergleichbares nur über die Lufthansa zu lesen. Wie werden Sie diesen nicht nur zivilen Industriezweig in Deutschland wieder stärken und ihn damit dauerhaft sichern?

Der Luftverkehr ist eine der am frühesten und am härtesten von Corona-Auswirkungen betroffenen Branchen. Wir GRÜNE wollen Airlines und Flughäfen in systemrelevantem Umfang dauerhaft erhalten. Die zentrale Herausforderung für die Zukunft der Luftfahrt ist die Dekarbonisierung des Flugverkehrs. Diese ist ohne Wasserstoff nach jetzigem Stand der Technik nicht denkbar. Dafür wollen wir das bisherige Ziel an Elektrolyseleistung bis zum Jahr 2030 von 5 Gigawatt soll auf 10 Gigawatt anheben und die Produktion und Verwendung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien wirtschaftlich gestalten. Den Aufbau von Produktionsanlagen und moderner Flugzeugtechnologie fördern wir. So können auch Nachbesserungen an den Flugzeugen einen Beitrag zu Kerosineinsparungen, Lärmminderungen und zu Reduzierung von Luftschadstoffe führen. Um Anreize für eine Umstellung auf klimaneutrale Treibstoffe zu setzen, wollen wir GRÜNE die bestehende Beimischungsquote erhöhen, einen Anstiegspfad festschreiben und umweltschädliche Subventionen abbauen.